Worin liegen aktuell die Probleme in der Bauindustrie und wie sind die Aussichten?
Gedämpft zeigen sich viele Konjunkturprognosen für dieses Jahr in Deutschland. Auch in der Baubranche. Im Interview erklärt uns Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, was er von diesem Jahr erwartet und was sich für bessere Bedingungen ändern müsste.
Herr Müller, wie schätzen Sie aktuell die baukonjunkturelle Lage ein?
Tim-Oliver Müller: Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Trotz hoher Materialpreise, steigender Hypothekenzinsen und gedämpfter gesamtwirtschaftlicher Konjunkturprognose sieht die Bauindustrie ohne Krisenblick auf die kommenden Monate.
Wie sind Ihre Prognosen für das restliche Jahr?
Natürlich ist die Lage mit Blick auf das Jahr nicht einfach. Wir gehen von einem realen Rückgang des Umsatzes von sechs Prozent aus. Die Stimmung ist im Augenblick jedoch noch gut, weil wir einen historisch hohen Auftragsbestand haben. Und ganz wichtig: Wir werden kein Personal abbauen. Im Gegenteil – auch wir haben offene Stellen, die wir gerne besetzen würden.
In welchen Bereichen könnte sich die Stimmung ändern?
Der Verkehrsbereich braucht einen Investitionsschub, um die Mobilitäts- und Klimawende umzusetzen. Für die Verkehrsinfrastruktur muss der Bund mittelfristig 25 Milliarden Euro jährlich investieren, um den Abbau des Sanierungsstaus, aber auch Zukunftsinvestitionen zu finanzieren. Ein solches Investitionspaket würde uns wirklich nach vorn bringen. Doch bisher lahmt die Modernisierung der Infrastruktur.
Sorgen bereitet uns auch der Wohnungsbau. Der Wohnungsmarkt ist eingebrochen. Die Ziele der Bundesregierung wurden 2022 gerissen und sind für 2023 und 2024 nicht zu schaffen.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen für den Wohnungsbau in diesem Jahr?
Wir haben derzeit ein Nachfrageproblem. Es sind also nicht fehlende Fachkräfte, die das Bauen ausbremsen, sondern die aktuellen Marktbedingungen für Investoren. Hohe Materialpreise, steigende Zinsen und eine kaum vorhandene Neubauförderung bei kostenintensiven gesetzlichen Vorschriften. Das sind die Gründe, wieso Wohnungsbaugesellschaften nicht mehr investieren.
Wie könnten Investitionen angekurbelt werden?
Wichtigste Grundlage in jedem Markt ist Planungssicherheit, damit die Investoren wieder Vertrauen entwickeln und wir bauen können. Aufgrund der derzeitigen Situation kommt es deshalb auf eine ausreichende und gezielte Förderung an. Nicht, damit die Industrie ihre Auftragsbücher füllt. Sondern vor allem, damit die Lücke zwischen Mieten, die rechnerisch aufgrund aktueller Bau- und Materialkosten angesetzt werden müssten, und Mieten, die politisch und sozial erwünscht sind, geschlossen werden kann.
Ist der deutsche Wohnungsbau zu teuer?
Die Durchschnittsmiete öffentlicher und genossenschaftlicher Wohnungsbauunternehmen beträgt etwa 6,85 Euro. Ich sage es klar und deutlich: Für diese Miete kann heute kein Neubau erstellt werden. In Berlin müssen beispielsweise zwölf Euro für den Quadratmeter veranschlagt werden. Und das auch nur, wenn das Grundstück einigermaßen günstig zu erwerben ist.
Das ist bitter für die zahlreichen Mieterinnen und Mieter, Familien, Senioren, Singles. Denn jede nicht gebaute Wohnung erhöht den Druck auf den Mietmarkt und erhöht die Sorge, dass Wohnen in Deutschland bald zu einer Armutsfalle wird. Die Lage ist aber auch bitter für die Bauunternehmen, die bauen wollen und können – aber keine Aufträge erhalten.
Wie kann sich daran etwas ändern?
Neben der zügigen Bereitstellung von Bauland ist für die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum das serielle, industrielle Bauen ein großer Hebel. Damit ließe sich zügig, qualitativ hochwertig und kostengerecht zusätzlicher Wohnraum schaffen und die Produktivität erhöhen.
Voraussetzung ist der Mut und Wille der Bundesländer, die Landesbauordnungen zu harmonisieren. Damit wir in Serie und mit einem technologieoffenen Mix an bewährten, recycelten und neuen Baumaterialien bundesweit bezahlbares Wohnen ermöglichen können.
Sie fordern also mehr Unterstützung durch die Regierung. Haben Sie dazu weitere Beispiele?
Es wäre eine sinnvolle Arbeitsentlastung für öffentliche Auftraggeber, bei der Vergabe das vorhandene Know-how der Bauindustrie besser zu nutzen. In vielen Fällen ist die derzeit praktizierte, kleinteilige Vergabe von Bauprojekten eine sehr anspruchsvolle Koordinierungsarbeit für den Auftraggeber. Häufig ist daher die Vergabe des gesamten Projektes eine bessere Lösung. An einen fachlich gut aufgestellten Generalunternehmer oder -übernehmer – also Bau-Mittelstand bis Großunternehmer.
Wo kann sich die Politik noch besser einbringen?
Ein weiteres enormes Potenzial liegt in der Beschleunigung und Digitalisierung von Prozessen in den Verwaltungen. Ein Vergleich: Es ist technisch ohne Probleme möglich, DHL-Pakete bis auf die Minute genau zu verfolgen. Verwaltungen hingegen sind eine echte Blackbox. Wir wissen heute nicht, wo oder an welcher Stelle eine Baugenehmigung während des Genehmigungsprozesses liegt. Hamburg zeigt, dass es geht – nun brauchen wir diesen digitalen Roll-out schnellstens in allen Bundesländern. Und konsequent vorbereitet für die BIM-gerechten Prüftools, die wir in Zukunft haben werden.
Foto: HDB/Bollhorst