So kann der stationäre Handel zukünftig bestehen

Kundinnen und Kunden sind beim Einkaufen anspruchsvoller und preissensibler geworden. Online-Käufe nehmen zu. Wie kann der stationäre Handel da mithalten?

Kategorie: Presales, Sales

Antworten darauf gibt uns Dr. Stefan Houweling. Er ist Projektleiter des Mittelstand-Digital Zentrums Handel am Institut für Handelsforschung (IFH KÖLN). Anhand fundierter Marktforschung werden dort Markttrends, Kundenverhalten und Wettbewerbsentwicklung analysiert und mit der Branche geteilt. Das Institut unterstützt darüber hinaus beratend bei der Entwicklung, Umsetzung und Kontrolle von Vertriebs- und Handelskonzepten.

Herr Dr. Houweling, wie haben sich die Kundenansprüche an den stationären Handel aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren geändert?

Dr. Stefan Houweling: Die Kundschaft ist deutlich bequemer in ihrem Einkaufsverhalten geworden. Gerade Corona hat gezeigt, dass man für viele Einkäufe das Haus gar nicht mehr verlassen muss. Kundinnen und Kunden können sich ein Produkt auch einfach liefern lassen. Dazu bieten die Informationssuche und der Einkauf im Netz eine ständige Verfügbarkeit von Informationen über Produkte, Lagerstände oder auch Bewertungen durch andere Kundinnen und Kunden. Das und weitere Services, die sie aus dem Online-Bereich kennen, erwarten die Leute auch beim Einkauf im stationären Handel.

Und was erwarten Kundinnen und Kunden zukünftig?

Die reine Versorgung mit Gütern kann in vielen Bereichen bereits über Online-Kanäle abgebildet werden. Kundinnen und Kunden erwarten vom Einkauf im stationären Handel längst mehr, als „nur“ einzukaufen. Der Mehrwert für den Einkauf im stationären Handel muss einfach da sein. Etwa kompetente und umfassende Beratung vor Ort oder auch die Gestaltung des Einkaufs als Erlebnis, das mehr bietet, als nur mit den Einkäufen aus dem Laden zu gehen.

Worin liegen aus Ihrer Sicht dabei die größten Herausforderungen für den stationären Handel?

Kundinnen und Kunden haben oft keine starke Bindung mehr an lokale Händlerinnen und Händler. Gerade die Einschränkungen durch Corona haben diesen Trend noch einmal verstärkt. Im Netz sind Informationen zu alternativen Einkaufsmöglichkeiten jederzeit verfügbar. Um Kundinnen und Kunden dennoch zu mir in das Geschäft zu lotsen, muss ich einerseits eine hohe Online-Sichtbarkeit haben und auf den Kanälen präsent sein, auf denen auch meine Zielgruppe unterwegs ist. Andererseits muss ich meiner Kundschaft auch Mehrwerte beim Besuch meines Geschäfts bieten, die über die Online-Kanäle nicht oder nur unzureichend abgebildet werden. Daneben gehören zu den Herausforderungen natürlich auch Fragen rund um den Betrieb und die Kosten. Energiepreise, Mieten, Fachkräftemangel und Inflation stellen den gesamten Handel, aber besonders auch den stationären Handel aktuell vor weitere Herausforderungen.

Mit welchen Mehrwerten kann der Handel wieder mehr Kundinnnen und Kunden ins Geschäft holen?

Indem man den Leuten den Einkauf im stationären Handel schmackhaft macht: eine angenehme Laden-Atmosphäre, Erlebnisse und Aktionen rund um den Einkauf und gute Beratung vor Ort. Wer sich im Geschäft wohlfühlt, kommt auch gerne wieder. Neben einer offenen Servicekultur gehört dazu sicher auch, dass man sich in seinem Angebot und der Gestaltung der Fläche auf die Wünsche und Bedarfe der Kundinnen und Kunden einstellt. Sicherlich garantiert auch das nicht, dass man „die Bude eingerannt bekommt“. Aber richtig kommuniziert, kann man so die Menschen für den Besuch begeistern. Das funktioniert am besten, wenn man sich lokal mit anderen Händlerinnen und Händlern sowie weiteren Akteuren, wie Wirtschaftsförderungen, Verbänden und Kommunen, zusammenschließt und an Erlebniskonzepten arbeitet.

Welche Lösungen am Point of Sale (PoS) sind aus Ihrer Sicht dazu unbedingt notwendig?

Hier gibt es im Prinzip zwei Bereiche, die man adressieren sollte: einmal Prozesse, die im Backend passieren, und einmal Technologien, die direkt an Kundinnen und Kunden gerichtet sind. Dabei ist es wichtig, Online und Offline zu kombinieren: Dinge, die Kundinnen und Kunden aus dem Netz kennen, auch auf die Fläche zu holen. Digitale Warenwirtschaftssysteme etwa mit Kassensystemen und digitalen Preisschildern zu verbinden. Ist ein Regal bald leer, kann die Nachricht an die Mitarbeitenden zum Auffüllen geschickt werden. Im besten Fall bestellt das verbundene System gleich neue Ware nach. Die Warenverfügbarkeit wird dann auch direkt online angezeigt. So sind Kundinnen und Kunden nicht frustriert, wenn die Hose mal wieder nicht in der richtigen Größe da ist. Schon diese Optimierungen können viel an Komfort aus der Online- in die Offline-Welt übertragen. Daneben können Technologien aber natürlich auch ganz direkt und individuell auf die Kundinnen und Kunden wirken.

Haben Sie dazu konkrete Technologie-Beispiele?

Digitale Plakate können bei der Gestaltung der Fläche mit sehr einfachen Mitteln die Atmosphäre beim Einkauf stark aufwerten und gleichzeitig Informationen bereitstellen. Digitale Kiosksysteme ermöglichen es, außerhalb der Öffnungszeiten einzukaufen. Sie bringen die Funktionalität von Online-Shops auf die Fläche und können gleichzeitig auch zur Beratung eingesetzt werden. Multisensoriksysteme, die mit Bildern, Klängen, Gerüchen und haptischen Erlebnissen arbeiten, unterstützen die Wohlfühlatmosphäre und die Präsentation der Angebote. Ergänzt um gute Erlebniskonzepte, Beratung und Angebotskommunikation auf digitalen Kanälen können Technologien dabei helfen, den stationären Handel zu unterstützen. Und unsere Einkaufszeilen in den Städten und auch in ländlichen Gebieten neu zu beleben.

Foto: © IFH KÖLN